Berlin Real Estate Story. TEIL II: Surfen auf der Welle

Und plötzlich waren Berlin Immobilien ganz oben auf der Wunschliste internationaler Käufer. In mehreren Wellen kamen Wohnungs- und Hauskäufer aus Europa und Übersee. 

von Peter Guthmann Veröffentlicht am:

Ninja und Subprime als Urknall

Wir erinnern uns. Im Jahr 2007 hatte in den USA eine Entwicklung eingesetzt, die bald als Subprime Krise die Finanz- und Immobilienmärkte weltweit erschüttern sollte. Die Schockwelle hatte ihren Anfang mit einem neuen Gesetz in den USA ein paar Jahre zuvor genommen. Die US-Regierung unter Präsident Bill Clinton hatte unter dem Druck, nicht genug gegen die Ungleichheit unter Amerikanern zu unternehmen, die Vergabe von Immobiliendarlehen zum Kauf von Häusern oder Wohnungen an Haushalte mit geringen finanziellen Mitteln erheblich erleichtert. Eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus galten als Grundrecht jeden Amerikaners. Clintons Wohnungsbauminister wies die beiden staatlich geförderten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac an, die geltenden Standards für die Kreditvergabe zu lockern. Urplötzlich wurden Millionen Haushalte in die Lage versetzt, eine oder mehrere Immobilien ohne Eigenkapital, ausreichendes oder nachhaltiges Einkommen zu erwerben. Ohne Bonitätsprüfung wurden Millionen von Krediten von den Kreditinstituten durchgewunken. Den Banken fiel es aufgrund der durch den niedrigen Leitzins günstigen Refinanzierung noch leichter, die Kredite zu vergeben. Die Folge war ein Megaboom. Es wurde gebaut, verkauft, finanziert. Eine Preisspirale wurde in Gang gesetzt. Oft wurde eine Immobilie nach kurzer Zeit wieder mit Gewinn verkauft und mit dem Erlös wurden weitere Immobilien gekauft. Über 1,5 Millionen Privathäuser wurden mit sogenannten Ninja-Krediten („no income, no job and assets“) Jahr für Jahr zwischen 2000 und 2007 gebaut. Auf dem Papier wurden viele Amerikaner dank der Vermögenswerte immer reicher. 

Overkill durch Zinsspirale

In 2007 schließlich wendete sich das Blatt vollends. Seit 2004 hatte die amerikanische Notenbank den Leitzins in mehreren Schritten von 1 Prozent im Jahr 2000 auf 5,25 Prozent im Jahr 2006 erhöht. Damit wurden die über Jahre angewachsene Kreditmengen für die Verbraucher unbezahlbar. Eine riesige Menge fauler Immobilienkredite war zur größten Immobilienblase der Geschichte angewachsen. Fast 5 Millionen leerstehende Häuser, viele davon wegen ausbleibender Kreditraten zwangsgeräumt, waren faktisch unverkäuflich auf dem Markt. Subprime, was euphemistisch mit "nicht erstklassig" übersetzt wurde, war zum globalen Krisenbegriff des jungen Jahrtausends geworden.

Von den USA nach Europa

In den USA saßen die Banken auf Kreditausfällen von mehreren Billionen US-Dollar. Finanzmarktexperten wussten, dass die Krise nicht mehr lokal einzudämmen war. Denn die amerikanischen Banken hatten ihre Kreditforderungen über Jahre auf sogenannte SPVs, Special Purpose Vehicles, übertragen. Die durchaus übliche Vorgehensweise, Forderungen zu bündeln und als Produkt zu verkaufen, führte nun dazu, dass weltweit gigantische Summen rückversicherter Forderungsbündel fällig wurden. Anders ausgedrückt: Die faulen Verbraucherkredite waren als Pakete weltweit verkauft und zuvor durch Versicherungen abgesichert worden, die nun fällig wurden. 2008 versagte schließlich die amerikanische Regierung einer der größten US-Banken jede weitere Hilfe bei der Abstützung der Liquidität. Mit dem Fall von Lehman Brothers brach Chaos aus. Sparer und Anleger weltweit versuchten ihr Geld in Sicherheit zu bringen und räumten massenhaft ihre Konten.

In Berlin kosteten Mitte der 2000er Jahre Häuser und Wohnungen so wenig, wie zuletzt zu Mauerzeiten.

Berlin war weit entfernt vom Boom-Town. Der Tagesspiegel schrieb im Jahr 2004, nicht einmal geschenkt würden Bauträger Berliner Grundstücke nehmen. Die Mieten in Berlin waren niedrig, die Einkommen gering, die Hoffnung der 1990er auf Wachstum und Zuzug waren dahin. Berlin schien tatsächlich mit seinen Problemen allein zu sein. Andere deutsche Städte florierten und im Ausland gab es einen regelrechten Bauboom. In Spanien, Portugal, Italien, Frankreich, Griechenland, Irland, England und Skandinavien standen die Kräne seit Jahren nicht still. Auch hier waren die Preise gestiegen und hatten den Markt angeheizt. Viele Immobilien waren von Anfang an als Investition konzipiert. Anleger standen Schlange, um Ferienimmobilien in südlichen Ländern zu kaufen, mit der Aussicht auf gute Renditen. In allen Ländern wurde der Anteil der Bauinvestitionen zu einer tragenden Säule des Bruttoinlandsprodukts. Nach den Krisenjahren auf den nationalen Arbeitsmärkten, wurde der Bausektor als Perpetuum mobile gefeiert. 

Platzen von Immobilienblasen

Auch wenn die Ursachen der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise vielschichtig und komplex waren, gilt das Platzen der Immobilienblase in Spanien als eine der Ursachen für den einsetzenden Dominoeffekt in Europa. Ähnlich wie in den USA waren auch in Spanien niedrige Zinsen der Treibstoff für den Bauboom. Die eigene Immobilie hatte, ähnlich wie in Portugal und Italien schon immer einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. In Spanien wurden Bau- und Immobilienkredite hingegen nicht wie in Deutschland mit langen Zinsbindungen versehen; vielmehr passen sich die Zinsmodalitäten während der Laufzeit Markt und Leitzins mehrfach an. Was bei sinkenden Zinsen von Vorteil ist, führt bei steigenden für Millionen Verbraucher zu Ausfällen. Gleichzeitig brach der Wert vieler Immobilien aufgrund des Überangebotes und der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage ein. Ähnliche Verläufe waren in Portugal, Italien, Griechenland und Irland zu beobachten.

Berlin: Lifestyle in der Krise

Die Situation ab 2007, 2008 war komplex. Viele europäische Binnenmärkte waren im Krisenmodus, die Immobilienwerte im Keller, die Arbeitslosigkeit sehr hoch und die Aussichten insbesondere für junge Menschen nicht gut. Gleichzeitig war viel Geld im Umlauf. Das Problem: Die Sicherheit von Bankkonten war prinzipiell in Frage gestellt, in den heimischen Immobilienmarkt konnte man nicht investieren und der Finanzmarkt war ausgesprochen unsicher.

In dieser Gemengelage erwies sich Berlin für eine ganze Generation junger Europäer als Sehnsuchtsort. Berlin wurde zum Inbegriff des Krisen- Lifestyles. Die Beschreibung Berlins durch den damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit mit „arm aber sexy“ traf den Nerv der Zeit.  Berlin war bezahlbar, cool und vielfältig. Frei zugängliche Universitäten, eine inspirierende Kulturszene, Jobs, Wohnungen, Nachtleben: Für viele junge Europäer strahlte keine andere Stadt mehr Anziehung aus, als Berlin. Jeweils mit kurzer Verzögerung nach dem Einsetzen der Wirtschafts-, Finanz- und Immobilienkrise in einigen europäischen Ländern setzte in Berlin eine spür- und messbare Migrationswelle ein. Nur ein paar Beispiele:

Spanien

2008 füllte sich die Stadt mit jungen Spaniern.Im Sog von Subprime stand das Land am Rand des wirtschaftlichen Abgrundes. Gepusht vom Tourismus, vor allem aber durch die florierende Baubranche, hatte Spanien zuvor einen phänomenalen Boom erlebt. Nicht erst in den Jahren des Aufschwungs gehörte Wohneigentum für die meisten Spanier bei einer Eigentumsquote von über 80 Prozent, zum guten Ton. Neben der Stadtwohnung gehörte Anfang der 2000er Jahre für viele Spanier noch eine Ferienimmobilie zur Lebensplanung. Dabei war die Finanzierung nicht einfach: Festgeschriebene Zinsen sind weitgehend unüblich. Die Kredite sind darauf ausgelegt, möglichst schnell zurückgezahlt zu werden. Ein wenig Spekulation durch Kauf und Verkauf war und ist in Spanien unter anderem auch deswegen üblich, weil Gewinne aus dem Wiederverkauf für die Tilgung von Krediten und für die Finanzierung der nächsten Immobilie genutzt werden. Kein Wunder also, wenn sich viele Iberer nach kurzer Zeit und trotz der heimatlichen Immobilienkrise enthusiastisch in den Berliner Immobilienmarkt warfen. Auch heute befinden sich viele Wohnungen in Berlin bei spanischen Eigentümern.

Irland

Schon Anfang des neuen Jahrtausends fanden viele Besucher von der grünen Insel schnell gefallen an Berlin. Die Flugverbindungen waren hervorragend, das Klima nicht ungewohnt und überhaupt, gab es einen echten Sympathie-Match zwischen Iren und Berlinern. Und obwohl in Irland die Eigentumsquote mit knapp unter 70 Prozent zwar eher im europäischen Mittelfeld rangiert, war für viele der erste Gang zum Makler. Denn die Wohnungen in Berlin waren im Vergleich zum vielfach teureren Immobilienkauf in Irland einfach unglaublich günstig. Nebenbei gesagt, waren die Wohnungen zu dieser Zeit auch für Berliner durchaus bezahlbar. Nur, dass Berliner eben nicht kauften.

Italien

Wir können nicht sagen, wieviel Berliner es Mitte der 2000er Jahre nach Italien zog. Fest steht aber, dass sehr viele Italiener nach Berlin kamen. Italiener lieben Berlin. Und sie lieben es genauso, in der eigenen Wohnung zu leben, statt zur Miete. In Italien leben etwa 83 Prozent der Menschen in den eigenen vier Wänden, in etwa soviel Prozent, wie Berliner zur Miete wohnen. Die eigene Wohnung ist ein zentraler Wesenszug der Italiener. Warum an jemanden Miete zahlen, zumal Mieterschutz in Italien unüblich ist? Verträge werden fast immer auf Zeit abgeschlossen. Üblich sind 4 + 2 Jahre, oft aber auch deutlich kürzere Zeiträume, danach wird die Miete neu verhandelt. Die eigene Wohnung dient damit also auch als Brandmauer vor Mietsteigerung, Kündigung und ungewollter Veränderung.

Immobilienkäufer aus über 110 Nationen

Insgesamt gab es im Zeitraum von 2010 bis 2019 Immobilienkäufer aus über 110 Nationen, wobei sich Präferenzen und Profile der Käufer erheblich unterscheiden. So stammen die meisten Käufer von Neubauwohnungen zwischen 2010 und 2019 aus Russland, gefolgt von Schweizern und Käufern aus China.

Anders sieht es im Bestandssegment aus. Hier führen Italiener sowie Käufer aus Israel, Frankreich und der Schweiz die Liste an.

Erfahren Sie demnächst in Teil 3 unserer Berlin Real Estate Story, was es mit der Preiselastizität auf dem Immobilienmarkt Berlin auf sich hat.

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