Die Trojanische Miete - Eine Reflexion

Eine Reflexion zur linken Dialektik in Berlin. Der Beitrag von Geschäftsführer Peter Guthmann erscheint in der Zeitschrift Das Grundeigentum. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

von Peter Guthmann Veröffentlicht am:

Fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen

Sie kennen die Mythologie um das Trojanische Pferd? Der Erzählung nach erschlichen sich im Altertum die Griechen, versteckt im Bauch eines großen Holzpferdes, den Zugang zur Stadt Troja. Die Trojaner ließen sich vom Geschenk blenden. Aber die vermeintliche Huldigung der Griechen war kein großer Sieg. Und die Freude am Geschenk währte nicht lang.

Die Berliner müssen verstehen, was hinter dem Mietendeckel steckt

Ein paar Wochen vor der Einführung des Mietendeckels, befragte die Berliner Morgenpost die Berliner, was sie davon hielten, künftig weniger Miete zu zahlen. Die Zeitung hätte ebenso gut fragen können, wie man eine gesetzlich angeordnete Verdoppelung der Urlaubstage oder Gehaltserhöhung fände. Wenig überraschend sprachen sich über 70 Prozent der Berliner für niedrigere Mieten aus. Ob Polizist, Krankenschwester, Zeitungsredakteur oder Manager, Hand aufs Herz, wer würde angesichts eines Geldgeschenkes anders stimmen. Trotz ihrer Inhaltsleere ist die Umfrage aber wertvoll. Denn sie legt nicht die Meinung der Berliner frei, sondern den Kern des Mietendeckels.

Die Linke macht ein Angebot, dass Mieter nicht ablehnen können

Mit dem Mietendeckel ist den Linken gelungen, wovon andere Parteien träumen. Mit nur einem einzigen Thema bindet sie Wähler, die sonst nichts mit ihr gemein haben, oder haben wollen. Sie hat, anfangs wahrscheinlich zu ihrer eigenen Überraschung, ein Megathema gekapert, das, bei etwa 83 Prozent Mietern in Berlin, fast zwangsläufig zum Erfolg führen muss. Das Kalkül ist einfach: Wird das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, wird sich die Partei in einer nicht gekannten Weise feiern können. Geht das Gesetz nicht durch, wird sie sich und die Berliner als Opfer des kapitalistischen Systems stilisieren, “WIR wollten es, aber, schaut her, die anderen haben uns daran gehindert.” Und es kommt noch besser. Denn jeder Widerstand gegen das Gesetz, ob juristisch, von privater Seite oder aus der Wirtschaft wird als systemimmanentes, aber letztlich zu überwindendes Hemmnis auf dem langen Weg zur Gerechtigkeit dargestellt. Das ist sozialistische Dialektik.

Wie es soweit gekommen ist

Die Linke profitiert von einem Wandel im öffentlichen Diskurs, den sie maßgeblich mitbestimmt hat. Die Anfänge liegen kurz nach der Jahrtausendwende. Als ob ein Schalter umgelegt worden wäre, wuchs Berlin nach Jahren der Stagnation wieder. Bereits vor, aber insbesondere mit Beginn der europäischen Finanzkrise und im Schlepptau der Subprime-Krise in den USA, zog es immer mehr junge Europäer nach Berlin. In Wellen kamen Zuzüglern aus Skandinavien, Irland, England, Italien, Spanien, Frankreich und auch viele junge Israelis und Amerikaner. Völlig atypisch für die Berliner Mietkultur, zog mit den Neu-Berlinern auch die Idee vom Wohneigentum ein. Kaufen war aus unterschiedlichen Gründen interessant. Die krisengeschüttelten Herkunftsländer boten keine interessanten Optionen und die Kaufpreise im Berlin der Nuller-Jahre waren, gerade im internationalen Vergleich, mehr als nur günstig. Die Nachfrage stieg, der Leerstand sank und auch die fast lächerlich niedrigen Mieten, die viele Eigentümer in Berlin über Jahre bis an den Rand des Ruins getrieben hatten, stiegen endlich wieder. In den Bezirken wurde modernisiert, umgewandelt und gekauft. Nach Jahrzehnten des Stillstands, wuchs die Bevölkerung und aus Quartieren wurden wieder Kieze, die durch die bunte und internationale Mischung an Lebensqualität, Diversität und Bekanntheit gewannen.

Die Berliner verschliefen das neue Berlin

Auch im Roten Rathaus hatte man in wechselnden Koalitionen das neue Interesse an Berlin bemerkt, ohne jedoch Schlüsse daraus zu ziehen. Im Senat begrüßte man zwar alles Neue und kam aus dem Feiern gar nicht mehr heraus: Aus der Party-Metropole wurde eine Kultur- und Kreativ-Metropole, aus der Universitätsstadt wurde ein Forschungsstandort und schließlich ein Start-up-Hub. Die Wirtschaft nahm Fahrt auf, die Arbeitslosigkeit sank und die Löhne stiegen.

Während die Menschen bereits zu Tausenden nach Berlin strömten, hingen in den Amtsstuben noch die Bevölkerungsprognosen der 1990er Jahre an den Wänden. Draußen wurden die Bezirke voller und die Kieze enger. Auch die Medien hatten nicht verstanden, was in Berlin vor sich ging; in den Redaktionen sinnierte man darüber, ob Weckle statt Schrippe ein Ausdruck der Gentrifizierung sei. In den Straßen wurde aber längst Englisch gesprochen. Auch für jene Berliner, die nicht daran interessiert waren, Englisch zu sprechen und die zunächst wie Zaungäste staunend die Veränderungen beobachteten, veränderte sich die Welt. Plötzlich fanden sich wieder Mieter für die leere Wohnung nebenan. Plötzlich wurden Häuser und Wohnungen in Schuss gebracht. Quartiere wurden Sanierungsgebiete, die Qualität im öffentlichen Raum sollte besser werden, so wollte es auch die Politik.

Die Politik vergaß, die Berliner abzuholen

Auch für viele junge Alt-Berliner änderte sich das Leben. Freundschaften und Beziehungen mit Menschen aus der ganzen Welt wurden normal. Junge Menschen gingen ein und aus und kauften Wohnungen. Eine, zwei, manchmal auch mehr. Und was taten die jungen Alt-Berliner? Sie verharrten in ihrer zu Mauerzeiten angelernten und (noch) bequemen Skepsis gegenüber allem Neuen. Es wurden viele Gründe gefunden, Wachstum abzulehnen und nur wenige, mitzuwachsen. Die günstigen Mieten waren nur ein Grund unter vielen, es sich bequem zu machen. Neben der Angst, Verantwortung und Verpflichtungen zu übernehmen, waren viele Berliner zu dieser Zeit auch dem liberalen Zeitgeist noch nicht gewachsen. Leider, denn es boten sich viele Chancen und es wurden fast ebenso viele Gelegenheiten verpasst.

Protest statt Eigentum

Wachstum, das musste Berlin lernen, gibt es nicht zum Nulltarif. Die Menschen brauchten Wohnungen, die ins neue Jahrtausend passten und die nicht den Vorkriegs-Standards entsprachen. Aber bauen kostet Geld und Modernisierungen verlangen Investitionen. Während viele private Neu-Eigentümer, die meisten davon ursprünglich keine Hauptstädter, gemeinsam mit der freien Wirtschaft in den Bestand investierten und nach Jahren des Stillstandes auch wieder bauten, zogen Senat und Bezirke nicht mit. Im Gegenteil, tat das Land alles, um den sich deutlich abzeichnenden Wohnungsmangel zu verschärfen. Der Rückbau von Plattenbauten im Ost-Teil der Stadt und der Verkauf hunderttausender Wohnungen waren Anfang des neuen Jahrtausend noch in vollem Gange. Etwa 230.000 Wohnungen privatisierte das Land von 1990 bis in das erste Jahrzehnt hinein.

Aktivismus statt Politik

Die Aufgabe der Kontrolle durch Privatisierung von über etwa 15 Prozent des Mietwohnungsbestandes führte in Kombination mit dem rapide wachsenden Zuzug und dem dem Abriss von DDR-Plattenbauten zu einer Verschiebung der Nachfragekurve und in der Folge zu weiteren Mietsteigerungen. Boten Ende der 1990er Jahre Vermieter noch Probewohnen und mietfreie Zeiten von 6 Monaten an, stand man nun für eine Wohnung Schlange. Mit der Länge der Schlange wuchs auch der Unmut. Viele hatten die Chance auf Eigentum verpasst und richteten sich nun gegen das “Establishment”. “Gentrifizierung” wurde zum geflügelten Wort und brachte nicht nur Blüten wie die Schrippen-Diskussion zutage, sondern förderte teilweise die offene Ablehnung zuziehender Menschen. Der Begriff fand diffuse Verwendung und führte paradoxerweise zur Ablehnung von Bauprojekten, die mit noch mehr störenden Zuzug, statt mit einer Entspannung des Marktes assoziiert wurden.


In den Bezirken waren die Verwaltungsbeamten näher an der Straße und an den Menschen als die Parteipolitiker auf Senatsebene. Statt sich jedoch aus der Verantwortung der Position heraus für mehr Akzeptanz von Neubauprojekten einzusetzen, pflückte der neue Typus des Aktivisten-Politikers lieber die niedriger hängenden Früchte. Es war einfacher, Projekte zu vermeiden, Anträge abzulehnen und sich bei Initiativen einzureihen, die sich im diffusen Widerstand gegen alles und jeden gefielen. Stadtbauräte machten sich die Interessen der immer besser organisierten Aktivisten zu eigen und füllten das Vakuum, das zwischen Menschen und Verwaltung herrschte. Aus einigen Verwaltungsbeamten waren Aktivisten geworden. Mit der Verlagerung des Diskurses von den Rathäusern auf die Straße verselbstständigte und entsachlichte sich die Debatte. Bürger wurden auf ihr Dasein als Mieter reduziert und aus dem mündigen Wähler wurde eine von allgegenwärtiger Verdrängung bedrohte Spezies.

Paradigmenwechsel

Die Koalition unter rot-rot-grün in Berlin beansprucht für sich, einen Wechsel in der Wohnungspolitik eingeleitet zu haben. Niemand wird bestreiten, dass der Immobilien- und Wohnungsmarkt sich tatsächlich wandelt. Die Transformation findet jedoch weniger auf einer pragmatischen, im Ergebnis durch mehr Wohnraum nachvollzieh- und spürbaren Ebene statt, als vielmehr diskursiv-politisch. Tatsächlich gab es in Berlin schon immer einen sehr präsenten linken Zeitgeist, der traditionell den privaten Wohnungsmarkt in jeder Ausprägung, von sozial bis liberal, ablehnt. Wie fortgeschritten die Verquickung linker Ideologie mit Politik, Partei und Gesetzgebung in der Hauptstadt schon ist, offenbart sich deutlich am Skandal um die Diese eG und an der konzeptionellen Nähe der Vorstellungen der linken Senatorin Lompscher zu denen einer Gruppierung, die sich die “Interventionistische Linke Berlin” nennt. In einer Einladung zu einer Podiumsdiskussion mit dem ehemaligen Kurzzeit Staatssekretär Andrej Holm, heißt es: “[...] so haben Viele [sic] inzwischen begriffen, dass die Eigentümer*innen das Problem sind: […] Wir schlagen einen Dreischritt vor: Den Privaten Wohnungsmarkt [sic] zurückdrängen durch Steuern, Regulierung, Marktbehinderung. Dadurch wird Spekulation unattraktiv, die Preise sinken. Dies erlaubt es, im zweiten Schritt Wohnraum als Gemeingut auszubauen: Rekommunalisierung, Aufkauf, Enteignung.” Und schließlich wird als Ziel definiert:” [...] die Abschaffung des Privaten Wohnungsmarktes durch Überführung aller nicht selbst genutzten Wohnungen in Gemeingut.”

Schon mittendrin

Die antidemokratische und systemfeindliche Einstellung einer kleinen Randgruppe und die Wiedererkennbarkeit ihrer Konzepte im Profil einer Senatorin wäre an sich schon ein Skandal. Die Tatsache dass trotz einiger Hinweise in der Presse niemand weiter Notiz von der indirekten Nähe einer Bausenatorin zu linksradikalen Gruppen nehmen will, muss nachdenklich machen und lässt auf eine weit fortgeschrittene Konditionierung von Öffentlichkeit und Medien schliessen. Prägnanter ausgedrückt: Entweder sind viele bereits auf Linie oder aber das Aufreger-Thema “Wohnen” zeigt Abnutzungserscheinungen. Seit etwa einem Jahrzehnt und mindestens seit fünf Jahren begleitet die Wohnungsnot und die Frage, wie ihr begegnet werden kann, die Berliner ausgesprochen intensiv. In dieser Zeit gab es mehrere Eskalationsstufen, beginnend mit der Gentrifizierungsdebatte, die harmlos begann, sich aber bis hin zu einer offen ausgetragener Ablehnung gegen Zuzügler auflud. Alles war Gentrifizierung, vom Touristen über den Schwaben, vom Neubauprojekt im Kiez über die modernisierte Nachbarwohnung, von der Kiez-Croissanterie oder Späti, die den Mieten nicht mehr gewachsen waren.

Wohnen ist wahlentscheidend

In Berlin stehen sich Linke und Grüne programmatisch so nah, wie nirgendwo sonst in Deutschland. Während die Linke das Thema Wohnen stadtweit regulatorisch von oben besetzt, setzen die Grünen auf Basisarbeit in den Bezirken. Die Strategien sind auch ein Spiegel der Wählerlandschaft in Berlin. Die Linke ist den Wählern im Ostteil der Stadt traditionell nah, insbesondere dort, wo der Anteil an Großwohnsiedlungen hoch ist. In diesem großteiligen Umfeld erfolgt der Wählerzugang anders als in den Kiezen im Westteil Berlins. Dort sind die Grünen z.B. in Kreuzberg und Neukölln näher an der kleinteiligen Basis und bearbeiten die Wähler durch medial inszenierte Vorkäufe und der Vereinnahmung des Solidarisierungsbegriffes mit Hausgemeinschaften.

Die Moderatoren sind weg

Solange Grüne, Linke und SPD das Megathema Wohnen jeweils für sich beanspruchen und sich programmatisch weiter annähern, wird es keine Deeskalation im Diskurs geben. Der Wettbewerb führt vielmehr dazu, dass Politiker als Moderatoren verloren gehen. Die fast vollständige Verlagerung des Diskurses in die Mietshäuser, auf die Straße und in Social Media Kanäle führt in Kombination mit einer neuen, auf Täter-Opfer ausgerichteten Dramaturgie in Reportagen und Berichten zu einer Emotionalisierung, Überspitzung und Verkürzung der Debatte.

Die Macht der Polemik

Im alten Griechenland, um zurück zum Anfang dieser Reflexion zu finden, war der Begriff des Demagogen positiv besetzt. Dieser nutzte sein rhetorisches Geschick, um politische Entscheidungen herbeizuführen. Heute ist, wie wir wissen, der Begriff anders besetzt. Die Mietendebatte ist ein Paradebeispiel dafür, wie Bevölkerungsgruppen, in diesem Fall die Mieter, unter anderen mit sprachlichen Mitteln ideologisiert werden. Begriffe werden eingeführt, negativ besetzt und abundant genutzt. Vom Miet-Hai über Rendite-Sucht, Mieten-Wahn, Wucher-Miete und Mieten-Stopp, hin zu Spekulanten und in letzter Instanz, zu Investoren. Begriffe wie “Wucher“, der im BGB klar definiert und abgegrenzt ist, werden zu weit gefassten Begrifflichkeiten umgedeutet. Eine nach BGB zulässige Miete wird so zur “Wuchermiete” und damit unmoralisch. Das freie Umdefinieren von Begriffen und ihre Überführung in weit gefasste Begrifflichkeiten und Deutungshoheiten ist exemplarisch für den Stand der Debatte um Wohnen und Mieten. Die gefühlte Realität wird zum postfaktischen Lebensgefühl und für das diffuse, Ich-bezogenes Ungerechtigkeitsgefühl werden einfach verständliche und generisch nutzbare Worthülsen zur Verfügung gestellt. Neutrale und auf gesellschaftlichen Konsens bauende Begriffe werden umgedreht und dienen dann dazu, Menschen zu ideologisieren. Das ist Demagogie heute.

Und nun?

Leider, man kann es nicht anders sagen, ist diese Art des Umganges mit Pluralität, Meinungen, Freiheiten und Sicherheit aus der zeitweise gemeinsamen wie getrennten Geschichte in Ost und West bekannt. Legenden sind meist ein Symptom des Scheiterns: Die gestellte Aufgabe ist überfordernd, oder aber eine Ideologie verbietet ihre Bewältigung.

Es wäre einfach zu sagen, baut doch einfach, dann wird sich der Knoten von alleine lösen. Allerdings ist offensichtlich nicht die Überwindung der Wohnungskrise das Ziel, sondern die Überwindung des Eigentums. Wie es weitergeht hängt deswegen wahrscheinlich gar nicht so sehr vom Ausgang des Mietendeckel-Kapitels ab, sondern davon, wie lange die rot-rot-grüne Koalition ihr Narrativ aufrecht erhalten kann. Oder will.

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