Berlin Real Estate Story. TEIL I: Von der Mauerstadt zur Weltmetropole: 50 Jahre Veränderung.

Verstehen Sie, wie sich Berlin zum heißesten Immobilienmarkt Europas entwickeln konnte. 

von Peter Guthmann Veröffentlicht am:

Die wohnungspolitischen 70er Jahre in Ost und West

Nach Ende des 2. Weltkrieges war das einzige wohnungspolitische Ziel die schnelle Schaffung von Wohnraum für die Berliner Bevölkerung. Nachdem sich Mitte der 1970er Jahre das Wohnungsangebot einigermaßen stabilisiert hatte, setzte im Westteil Berlins eine städtebaulich konzeptionelle Phase ein. Im Diskurs über Leitbilder setzten sich zunehmend Großvorhaben durch; die idealisierende Vorstellung einer autogerechten Stadt, hohe Fördermöglichkeiten und die schnelle Umsetzbarkeit waren verlockend. In der geteilten Mieterstadt Berlin war Wohnungspolitik auch auf der anderen Seite der Mauer hoch priorisiert. Im Osten hatte der Wiederaufbau zwar später eingesetzt, dafür umso heftiger. Für die politische Führung ging es neben wohnungspolitischer Ziele auch darum, die Leistungsfähigkeit der sozialistischen Planwirtschaft unter Beweis zu stellen. West- und Ost setzten dabei beide auf das Leitbild von Großsiedlungen. Im Osten war die  Sanierung des großen innerstädtischen Altbaubestandes aus Kostengründen und ideologisch unbeliebt. Gründerzeitviertel wie in Prenzlauer Berg waren dem System als Keimzelle des Freigeistes suspekt.  Aber auch im Westen war die Versuchung durch den städtebaulichen Kahlschlag Platz für neues zu schaffen, groß. Die Folge in Ost und West war, dass viele alte Kiez- und Blockstrukturen den vermeintlich modernen Großstrukturen weichen mussten. Eine unumkehrbare Entwicklung, die im Westen ihren Ausdruck in Vorhaben wie dem NKZ (Neues Kreuzberger Zentrum) oder dem Sozialpalast in  Schöneberg fanden. Auch im Osten wurden vielerorts intakte Altbau-Blöcke abgerissen und durch Hochhäuser (z.B. rund um den Alexanderplatz) oder durch Großsiedlungen am Stadtrand ersetzt. 

Euphorische Prognosen

Der Knall, der mit dem Fall der Mauer ab 1990 über Berlin fegte, war nicht nur für Stadtplaner und Stadt-Ideologen überraschend. Die Wiedervereinigung und der Beschluss des Bundestages im Jahr 1992, Berlin wieder zur Hauptstadt zu machen, mündeten in  euphorischen Einschätzungen, wie sich die Bevölkerung in Berlin entwickeln würde. Zwischen 1950 und 1985 war die Bevölkerung in Berlin kontinuierlich von etwa 3,3 Millionen auf weniger als 3,1 Millionen geschrumpft. Der Senat setzte der Abwanderung Subventionen entgegen. Arbeitnehmer erhielten im Westteil 8 Prozent “Berlinzuschlag” auf den Bruttolohn. Auch Industrie und Gewerbe hingen an Fördertöpfen. 

Die durch den Mauerfall erwarteten Möglichkeiten für die neue und alte Hauptstadt ließen die Bevölkerungsprognosen explodieren. Man orakelte den Zuzug vieler Gutverdiener. Außerdem sollte sich Berlin nach dem Willen von Politik und Wirtschaft nicht nur zum politischen, sondern auch zum neuen wirtschaftlichen Zentrum und zur Schnittstelle der Volkswirtschaften zwischen Ost und West entwickeln. Konsequenterweise brauchte man Wohnungen für bis zu 5 Millionen prognostizierte Bewohner, so hoch gingen einzelne Schätzungen, vor allem aus der Wirtschaft. Im Senat ging man davon aus, dass allein die gut verdienenden Neu-Berliner rund 270.000 hochwertige Wohnungen nachfragen würden. Kleine und mittlere Wohnungsbauprojekte schossen aus dem Boden und im Osten begann eine Aufholjagd; Altbauten wurden aufwändig saniert, Lücken bebaut, Quartiere und Kieze wurden zu Sanierungsgebieten und durchliefen strukturelle Wandel. Parallel zu den kleineren und mittleren Projekten in den zentralen Innenstadtquartieren, entstanden weniger zentrale Siedlungen wie in Französisch Buchholz und Karow. 

Die Ernüchterung

Berlin war wie betrunken. Was der Stadt noch fehlte, so dachte man, wäre die Austragung der  olympischen Spiele 2000, auf die man sich 1993 bewarb. Der Berliner Zweckoptimismus half jedoch nicht weiter und Berlin verlor die Austragung gegen Sydney. Mit der verlorenen Bewerbung kam die Katerstimmung, denn an Olympia waren große Erwartungen geknüpft worden. Viele Wohnprojekte und infrastrukturelle Maßnahmen wurden voreilig im Schlepptau der Spiele geplant. Schlimmer noch, sank nun die Bevölkerungszahl, anstatt zu steigen. Der Motor kam ins Stottern und zuletzt scheiterte 1996 auch noch die Länderfusion von Berlin und Brandenburg. 

Abkehr vom geförderten Wohnungsbau

Die Serie von Niederlagen führte zu einem Umdenken im Roten Rathaus. Der hoch subventionierte Sozialwohnungsbau der 1980er Jahre war noch nicht bezahlt und die Entwicklung weiterer 80.000 bis 100.000 öffentlich geförderter Wohnungen in den 90ern  verschlang weiter hohe Summen. Schließlich kam 1996 mit der öffentlichen Finanzkrise die Kehrtwende. Mit der “Eigentumsstrategie” 2000 sollte nun die Eigentumsquote von gerade einmal 8 Prozent binnen weniger Jahre verdoppelt werden. Man versprach sich, die Baukonjunktur anzukurbeln und durch die verstärkte Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen Investitionen in die bestehende Gebäudesubstanz.

Arm aber noch nicht sexy: Abgebrannt ins neue Jahrtausend

Der in den 1980er Jahren angeschobene und bis weit in die 90er Jahre hineinreichende hoch subventionierte Sozialwohnungsbau mündete in einem großen kommunalen Wohnungsbestand. Im Jahr 1990 gehörten rund 480.000 Wohnungen dem Land Berlin. Nachdem sich die Bevölkerung in Berlin nicht wie erwartet positiv sondern rückläufig verhielt und die Landeskasse durch den Bankenskandal nachhaltig geschwächt war, kam der Wunsch auf, Teile des Wohnungsbestandes zu verkaufen um Löcher im Haushalt zu füllen. In unterschiedlichen Koalitionen wurden in vier Phasen der Privatisierung etwa 210.000 Wohnungen aus dem kommunalen Bestand herausgelöst und verkauft. Der  kommunale Bestand wurde auf unter 275.000 Einheiten zurückgefahren. Die verkauften Wohnungen standen damit nicht mehr als wohnungspolitisches Instrument zur Mietenkontrolle zur Verfügung, wodurch das niedrige Mietensegment unter Druck geriet. 1999 wurde der soziale Wohnungsbau gestoppt und vier Jahre später erfolgte der Ausstieg aus der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau, was zu einem weiteren Mietenschub führte, da sukzessive Wohnungen aus der Preisbindung fielen. 

Neuer Zuzug treibt den Immobilienmarkt an

Bis zum Jahr 2006 / 2007 stagnierten die Kaufpreise in Berlin. Zögerliche Aufwärtsbewegungen gab es nur vereinzelt. In den traditionellen City-West Ikonen wie Charlottenburg und Steglitz lag die Stagnation wie ein muffiger Teppich auf dem Immobilienmarkt. Mit Beginn der internationalen Finanzkrise begann sich die Situation zu ändern. Im Schlepptau der Subprime-Krise in den USA, zog es immer mehr junge Menschen  nach Berlin. In Wellen kamen Zuzügler aus Skandinavien, Irland, England, Italien, Spanien, Frankreich, Israel und den USA, um einige Gruppen zu nennen. Völlig atypisch für die Berliner Mietkultur, zog mit den Neu-Berlinern auch die Idee vom Wohneigentum ein. Immobilien zu kaufen war interessant und normal. Die krisengeschüttelten Herkunftsländer boten im Zuge der Finanzkrise wenig Möglichkeiten und die Immobilienpreise im Berlin der Nuller-Jahre waren im internationalen Vergleich ausgesprochen günstig. Die Nachfrage ging hoch, der Leerstand sank, die Mieten stiegen. In den Bezirken wurde modernisiert, umgewandelt und gekauft. Nach langem Stillstand wuchs die Bevölkerung wieder und aus Quartieren wurden wieder Kieze, die durch die bunte und internationale Mischung an Lebensqualität, Diversität und Bekanntheit gewannen. 

Heute und morgen

Berlin ist Heimat für Menschen aus über 200 Ländern. Es ist mit Sicherheit zu erwarten, dass nach der Pandemie der Zuzug von Menschen aus dem In- und Ausland wieder stark zunimmt. Im Global-City-Index, der die Attraktivität von Metropolen misst, belegt Berlin stabil  im Schnitt den 16. Platz, ein im internationalen Vergleich hervorragender Wert. 

Für die Immobilienwirtschaft ist die Herausforderung, die andauernde Transformation der Lebensstile, Werte und Interessen zu begleiten. Als Wohnungs- oder Zinshaus-Investor wird es sich wieder lohnen auch über die seit Jahren boomenden Innenstadtbezirke hinaus zu agieren.

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